Mental Training: Übung macht den Meister

Mentale Stärke - üben, üben, üben!

Einige mentale Tricks funktionieren nur, wenn man sie permanent übt und sie damit zur vertrauten Gewohnheit werden.

In den vorherigen Artikeln wurde beschrieben, dass mentale Tricks durchaus zuverlässig funktionieren, wenn sie mit einer Instinktreaktion verbunden sind. Hingegen funktionieren mentale Techniken, die durch Lernen und durch die Verbindung zwischen einem beliebigen Reiz und einer gewünschten Reaktion hergestellt wurden, nur oder am besten durch intensives Training. Das hat vor allem zwei Gründe:

Unser Hirn kann Informationen auf «gut geschmierten» Wegen besser abrufen.
Stellen Sie sich vor, Sie reisen nach London. Dort möchten Sie jemandem am Bahnhof erklären, wohin Sie möchten und die Person fragen, wie Sie dorthin kommen. Zwar haben Sie irgendwann mal Englisch gelernt, verstehen die Sprache auch recht gut, aber Sie haben seit Monaten kein Englisch mehr gesprochen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit stehen Sie nun da und «suchen nach Worten», stottern herum, während Sie den Englisch sprechenden Auskunftgeber wunderbar verstehen. Woher kommt das?
In Ihrem Grosshirn sind Milliarden von Informationen gespeichert. Aber nicht alle brauchen Sie regelmässig im Alltag. Wenn Sie eine Information aus Ihrem Hirn benötigen, um diese durch Sprechen, Schreiben oder Handeln zum Ausdruck zu bringen, muss diese Information zuerst aus der «Bibliothek» Ihres Gehirns (unbewusster Teil) in den «Arbeitsspeicher» (bewusster Teil) transportiert werden. Der Transport erfolgt chemisch und elektrisch, indem die benötigte Information von Nervenzelle zu Nervenzelle gesendet wird. Im Hirn haben wir Menschen etwas 100 Milliarden solcher Zellen und jede Nervenzelle berührt tausende anderer Nervenzellen. In einem solchen Gewusel an Informationstransport muss Ordnung geschaffen werden, unter anderem dadurch, dass häufig abgerufene Informationen, die immer wieder durch eine gewisse Abfolge von einander liegenden Nervenzellen geschossen werden, schneller als andere Informationen transportiert werden. In der Fachsprache heisst das Langzeitpotenzierung.
Wenn Sie nun also in London am Bahnhof stehen und lange nicht Englisch gesprochen haben, dann wird Ihr Englisch-Wortschatz in den ersten Stunden nur langsam und mühsam durch die nicht trainierten Nerven-Abfolgen in den bewussten Teil des Gehirns transportiert. Folglich können Sie die aktuell notwendigen Worte auch nicht oder nur verzögert anwenden, obwohl Sie diese irgendwann mal in Ihrem Hirn gespeichert haben. Wenn hingegen eine Information von aussen an Sie herankommt, ist der Übertragungsprozess im Gehirn ein anderer, er ist aus überlebens-technischen Gründen viel schneller, darum verstehen Sie aufgrund des ehemals gelernten Wortschatzes was der Englische Auskunftgeber sagt. In Bezug auf den Abruf-Prozess werden Sie die Erfahrung machen, dass Sie nach einigen Stunden oder Tagen in London wieder flüssig Englisch sprechen können und teilweise sogar Wörter abrufen, von denen Sie gar nicht mehr gewusst haben, dass Sie sie kennen.

Genauso verhält es sich bei mentalen Tricks: Damit diese bei Bedarf rasch und zuverlässig wirken können, ist ein permanentes Abruftraining auch in Zeiten, in denen Sie die Tricks nicht benötigen, unumgänglich. Dazu kommt noch ein zweites Phänomen:

Unter Stress verlangsamt oder blockiert das Gehirn den Transport von als nicht relevant klassierten Informationen.
Das hat wiederum mit der Ordnung im Gehirn zu tun. Tritt in der Aussenwelt, im «Kopfkino» oder im Körper eines Menschen eine Information auf, die Gefahr signalisiert, dann konzentriert sich «Vegi» vollkommen auf die Bewältigung der Gefahrensituation. Alle anderen im Kopf aktiven Informations-Übertragungen, die «Vegi» als nicht notwendig für die Bewältigung der aktuellen Gefahr klassiert, werden, bis die Gefahr beendet ist, verlangsamt oder gar ganz blockiert.
Ein Klassiker hierfür ist die Prüfungsangst. Zuerst lernt eine Person, nennen wir sie Hans, den für die Prüfung notwendigen Stoff, zum Beispiel die Geographie der Schweiz. Diese Informationen werden in der «Bibliothek» von Hans' Gehirn gespeichert. In der Prüfungs-Situation müssen die Informationen jedoch zwingend wieder in den «Arbeitsspeicher» des Gehirns transportiert werden, damit Hans sie aufschreiben oder aussprechen kann. Wenn Hans jedoch im Vorfeld der Prüfung aufgrund von Kopfkino oder Drohungen aus der Aussenwelt eine Gefahr aufbaut («alle werden schlecht über mich denken, wenn ich durchfalle», «ich werde nicht studieren können», «ich werde verarmen», «meine Eltern werden enttäuscht sein», etc.) und Hans diese Gefahr mit der Vorstellung der Prüfungssituation verbindet (Sitzen in einem Klassenzimmer, ein Blatt Papier auf dem Pult, ...), dann macht «Vegi» in der tatsächlichen Prüfungssituation angesichts des Klassenzimmers und des Blattes auf dem Pult ihren Job: Sie konzentriert sich jetzt nämlich vollkommen auf eine erfolgreiche Flucht, auf einen erfolgreichen Kampf oder ein erfolgreiches Erstarren (Verstecken). Nur leider garantiert nicht auf den Namen der Hauptstadt des Kantons Wallis. Diese Information ist nicht in unserem Instinkt verankert und wird als nicht überlebenswichtig klassiert (Entschuldigung liebe Walliser und Walliserinnen!) und der Abruf der gelernten korrekten Antwort wird von «Vegi» blockiert. Erst wenn die vermeintliche Gefahr beendet ist, Hans das Klassenzimmer verlässt und das Blatt Papier auch ausser Sichtweite ist, lässt «Vegi» den Informationstransport wieder zu und Hans könnte die Prüfung mit Best-Note absolvieren.

Um einen optimalen Abruf gewisser Informationen oder Handlungen ohne grosse Überlegung sicherzustellen sowie eine Blockierungs-Reaktion zu vermeiden, üben zum Beispiel Rettungskräfte immer wieder «trocken». Nehmen wir das Beispiel Feuerwehr: Beim Anblick von Feuer sagt unser Instinkt «rennen!», ein Impuls, der zum Löschen oder zur Rettung von Menschen in einem brennenden Gebäude nicht sehr zielführend wäre. Darum werden Handgriffe und Abläufe zur Rettung auch ohne reales Feuer wieder und wieder geübt. Feuer = Schutzkleidung anziehen, Kommunizieren, Schlauch anschliessen, ... Dabei erhalten die zu einer Rettung notwendigen Handlungen einen gut «geschmierten» Abruf-Weg im Gehirn. Und da die Handlungen ohne akute Gefahr geübt werden, verbindet «Vegi» sie mit etwas Harmlosem. So können in einer Real-Situation instinktive Stress-Reaktionen vermieden oder wenigstens hinausgezögert werden.

Gerade wenn Sie Ihre mentalen Tricks also in stressigen Situationen einsetzten möchten, ist es unumgänglich, immer wieder «trocken» zu üben.

Mit diesem vierten Artikel ist die Reihe über mentale Tricks und Techniken vorerst abgeschlossen. Darum hier nochmals eine kurze Zusammenfassung, was hilfreich zu wissen ist, um mentale Tricks erfolgreich anzuwenden:

  1. Sie haben einen Teil in Ihrem Gehirn, der auf Ihren Instinkt oder auf Dinge, die Sie gelernt haben, reagieren muss.
  2. Beim Lernen können Sie beinahe beliebig irgendeinen Reiz mit einer gewünschten Reaktion verbinden.
  3. Je häufiger Sie lernen und üben, desto zuverlässiger ist die gewünschte Wirkung, vor allem bei Stress.
  4. Das Üben sollte in Zeiten, in denen Sie die Tricks nicht benötigen, nicht unterbrochen werden.

Viel Spass beim Lernen und Üben! Zur Erleichterung Ihres Alltags können Sie Tricks und Techniken durchaus selber zusammenstellen und anwenden. Sollten Sie mentale Techniken für die Bewältigung sehr belastender Situationen benötigen, dann wenden Sie sich bitte zur Unterstützung an ausgebildete Fachpersonen. Im Kanton Zug finden Sie diese hier.

Dieser Beitrag wurde von Nicole Züsli (Psychologin lic. phil. I) verfasst.

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