Picky Eaters oder kritische kleine Esser – wie geht man mit ihnen um?

Kritische kleine Esser

«Nein! Das ist gruuuuusig!» Die Erbsen werden von einer Seite des Tellers zur anderen geschoben, doch keine davon findet ihren Weg in den Mund des Kindes. Meist beginnt es im Alter von 18 Monaten – die Kleinen werden wählerischer, was ihr Essen angeht, oder weigern sich sogar, es zu probieren. Was für Kinder eine Möglichkeit darstellt, ihren eigenen Willen auszuprobieren, kann für die Eltern und andere Bezugspersonen eine echte Belastung sein. Isst das Kind genug? Erhält es die wichtigen Nährstoffe? Was, wenn ein Mangel auftaucht? Und warum kann es nicht einfach das essen, was auf den Tisch kommt?!

Was sind Picky Eaters?

Kinder, die ein sehr wählerisches Essverhalten an den Tag legen, werden auch «Picky Eaters», umgangssprachlich «wählerische Esser» genannt. Abzugrenzen ist dieser Begriff von anderen Störungen wie genereller Essensverweigerung, ARFID (vermeidende/restriktive Essstörung) oder Fütterungsstörungen mit organischen Ursachen. Bei Kindern im Alter von drei bis elf Jahren gelten 13-22 Prozent als wählerische Esser/-innen. 18 bis 40 Prozent davon bleiben Picky Eaters bis ins Jugendalter. Unbekannte Nahrungsmittel haben es dabei besonders schwer, aber auch bereits bekannte und zuvor akzeptierte Nahrungsmittel können plötzlich verweigert werden. Das Spektrum an Nahrungsmitteln, die diese Kinder zu sich nehmen, kann also sehr eingeschränkt sein. Dies beunruhigt primär die Eltern, die sich um die Nährstoffaufnahme des Kindes sorgen. Kriegt mein Kind genügend Nährstoffe, wenn es tagein tagaus nur Nudeln ohne Sauce isst?

Ursachen von wählerischem Essverhalten

Ein wichtiger Auslöser für ein wählerisches Essverhalten ist ein grosser Respekt vor Neuem. Diese Angst vor Neuem wird auch Neophobie genannt und tritt insbesondere im Alter zwischen 18 Monaten und 5 Jahren auf. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen.

Einerseits ist diese Abneigung entwicklungsbedingt. Ein Kleinkind beginnt im Alter von 18 Monaten, sich selbständig fortzubewegen und seine Umgebung zu erkunden. Die Abneigung gegenüber fremden Dingen kann dabei ein hilfreicher Schutzmechanismus sein, damit das Kind nicht in einem unbeobachteten Moment den herumliegenden Zigarettenstummel oder die giftige Pflanze in den Mund steckt.

Genetisch gesehen bevorzugen wir ausserdem süsse und fettige Nahrungsmittel. Ein süsser Geschmack ist ein verlässlicher Hinweis darauf, dass das Nahrungsmittel reif ist und damit seinen maximalen Nährstoffgehalt erreicht hat. Fettige Nahrungsmittel weisen eine hohe Energiedichte auf und zählen dadurch evolutionär betrachtet zu den Superstars unter den Nahrungsmitteln. Gemüse lassen Kinder in den ersten Jahren oftmals links liegen, da sie nicht dieser genetischen Präferenz von süss und fettig entsprechen. Kinder müssen die Vielfalt der Nahrungsmittel und Geschmäcker oft erst noch kennen und lieben lernen.

Wenn Neues erlernt werden muss, benötigt ein Kind Energie und freie Ressourcen dafür. Dies auch bei der Geschmacksexploration. Oft kann beobachtet werden, dass ein müdes Kind sogar ohne Neophobie keine Lust auf Experimente und Neues hat und die altbewährten, vertrauten Aromen und Speisen bevorzugt.

Neben dem Geschmack spielen auch andere Sinnesempfindungen wie Geruch, Aussehen und die Konsistenz eine wichtige Rolle bei der Präferenzbildung. Eine Abneigung gegen Eintöpfe ist beispielsweise weit verbreitet. In Eintöpfen werden viele verschiedene Nahrungsmittel mit unterschiedlichen Konsistenzen vermischt. Dadurch ist für das Kind nicht absehbar, mit welcher Konsistenz es beim nächsten Bissen rechnen muss. Diese Unberechenbarkeit kann Abneigung und sogar Angst auslösen. Bei hochsensiblen Kindern ist diese Aversion oft besonders stark ausgeprägt. Kinder mit einer Hochsensibilität nehmen Geruch, Konsistenz, Geschmack sowie visuelle Aspekte intensiver wahr. Eine Mischung aus unterschiedlichen Gerüchen, Konsistenzen und Geschmäckern kann in diesem Fall zu einer wahren Reizüberflutung führen und eine hohe Lernbereitschaft und Energie fordern.

Das wählerische Essverhalten der Kinder hat meist auch Auswirkungen auf die Atmosphäre am Tisch. Erwachsene beobachten dann mit Argusaugen jeden Bissen, der gegessen wird und insbesondere jeden Krümmel, der liegen bleibt. Diese angespannte Stimmung beeinflusst auch den Appetit und die Bereitschaft des Kindes, weiter zu essen. Oder fühlen Sie sich wohl beim Essen, wenn jeder Ihrer Bissen beobachtet wird? In diesen Situationen benutzen Kinder dies auch als Steuerelement. «Wenn Kinder merken, dass das Essen die ganze Zeit beobachtet wird, merken sie auch, dass sie sehr viel Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie mit dem Essen spielen», sagt die Ernährungspsychologin Ronia Schiftan. Aus diesem Grund kann es hilfreich sein, den Fokus während der Mahlzeit vom Essen weg auf ein positives Thema zu lenken.

Strategien zur Bewältigung von wählerischem Essverhalten

Neben den «Don’ts» in Bezug auf wählerisches Essen gibt es aber auch viele Möglichkeiten, wie man auf positive Weise mit Picky Eating umgehen kann. Einige davon findest du hier aufgelistet.

  1. Wir bestimmen das ausgewogene Angebot und die Kinder entscheiden, was sie davon in welcher Menge essen
    Für eine entspannte Essatmosphäre ist es hilfreich, wenn Kinder selbst entscheiden dürfen, was und wie viel sie davon essen wollen. Die Ernährungsberaterin Monique Mura Knüsel plädiert dafür, dass bereits Kleinkinder selber ihr Essen schöpfen können: «Kinder, die separat Gemüsesauce und Reis schöpfen können, essen diese Kombination eher, als wenn wir Ihnen den gemischten Reis bereits auf dem Teller servieren». Kinder haben oft ein intuitives Gespür dafür, was ihr Körper braucht. Dennoch müssen sie lernen, ihren Appetit richtig einzuschätzen. Dabei helfen das Selberschöpfen und unsere verständnisvolle Reaktion, wenn doch zu viel auf dem Teller gelandet ist und das Kind nicht alles aufessen mag. Wenn wir das Kind dazu drängen, einen Teller leer zu essen, sagen wir ihm: «du nimmst deinen Körper nicht richtig wahr». Damit verlernt es, auf das eigene Empfinden von Hunger und Sättigung zu hören.
    Das bedeutet nicht, dass wir wählerischen Kindern nur das anbieten, was sie gerne essen. Wir Bezugspersonen entscheiden, was auf den Tisch kommt und wir bestimmen auch die Vielfalt. Wichtig ist dabei, dass mindestens ein Nahrungsmittel angeboten wird, welches das Kind normalerweise toleriert und dass jeweils auch bisher unbekannte oder abgewiesene Nahrungsmittel immer wieder angeboten werden. Aber bitte ohne Zwang. Dieser erzeugt nur Widerstand und führt dazu, dass die Kinder erst recht nichts probieren. Da gerade auch die Konsistenz einen grossen Einfluss auf die Akzeptanz eines neuen Nahrungsmittels hat, ist es empfehlenswert, das neue Nahrungsmittel auf unterschiedliche Art und Weise zuzubereiten. Die gedämpften Rüebli-Scheiben sind vielleicht noch kein Hit, aber im Ofen geröstet als Karotten-Pommes oder einfach roh zum Knacken kommen sie schon viel attraktiver daher!
  2. Kinder brauchen Vorbilder
    Wenn Bezugspersonen beim Blumenkohl das Gesicht verziehen, lernen die Kinder, dass dieses Gemüse nicht zum Lieblingsessen werden wird. Aus diesem Grund ist es von grosser Bedeutung, als gutes Beispiel voranzugehen. Wir dürfen mit den Kindern durchaus thematisieren, dass man ein gewisses Nahrungsmittel bis jetzt noch nicht so gerne mochte, dies nun aber erneut probieren möchte. Und falls wir etwas selber wirklich nicht gerne mögen, ist es auch ok, wenn wir dieses weglassen und uns an der weiteren Vielfalt der Nahrungsmittel kreativ austoben, die wir selber auch gerne und genussvoll essen.
  3. Niemals argumentieren mit «Es ist gesund»
    Um den Respekt vor einem neuen Nahrungsmittel zu reduzieren, können wir versuchen, den Geschmack mit einem bereits bekannten Nahrungsmittel zu vergleichen. Ausserdem kann es hilfreich sein, dem Kind zu erklären, was verschiedene Nahrungsmittel im Körper bewirken. So sorgen Früchte am Morgen für die nötige Energie, um in den Tag zu starten und dunkelgrünes Gemüse wie Broccoli hilft den Muskeln, damit der nächste Ball garantiert mit viel Kraft im Tor landet! Das Argument: «Iss das, es ist gesund» bewirkt hingegen nichts oder führt dazu, dass die Abneigung sogar noch grösser wird.
  4. Das Essen mit allen Sinnen entdecken
    Manchmal ist die Abneigung gegen ein neues Nahrungsmittel so gross, dass man ganz klein beginnen muss. Besonders bei Kleinkindern kann es helfen, wenn Kinder das Essen auch mit den Händen erforschen können. Anfassen, auseinanderzupfen und schauen wie sich das Nahrungsmittel zerdrücken lässt. Ältere Kinder können gerne auch beim Rüsten miteinbezogen werden. Indem Kinder den Geruch, die Farbe und Konsistenz inspizieren können, ohne das Nahrungsmittel essen zu müssen, kann die Unsicherheit und der Respekt vor dem Neuen gelindert werden.
    Generell kann es hilfreich sein, einen spielerischen Aspekt in die Mahlzeiten einzubauen. «Vielleicht bedeutet das zum Beispiel, dass alle mal mit den Händen essen!», meint Ronia Schiftan. Oder man integriert die Kinder in die Zubereitung des Essens, indem sie die Pizza selbst belegen dürfen, die Fajitas alleine füllen oder gemeinsam mit der Familie den Gemüse-Burger in einen Frosch verwandeln (siehe Rezept).
  5. Essen wird nicht als Belohnung oder Bestrafung verwendet
    In der Psychologie spricht man von operanter Konditionierung, wenn positive Verhaltensweisen belohnt werden. Dies kann man sich auch in diesem Fall zu Nutze machen und Kinder für ihren Mut, etwas Neues zu probieren, loben. Wir können beispielsweise sagen: «Toll, dass du das probiert hast!» Desserts sollen aber niemals als Belohnung verwendet werden und es soll auch nicht vorenthalten werden, wenn das Kind den Broccoli nicht aufisst. Das Kind lernt dadurch, dass das Dessert besser ist als das, was als Hauptmahlzeit auf dem Teller liegt. Dies führt zu einer Abwertung der Hauptmahlzeit und dazu, dass die Nachspeise noch besser bewertet wird.

Fazit

Das wählerische Essverhalten der Kleinen ist eine Herausforderung für viele Eltern und andere Bezugspersonen. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig und individuell und sie sind normal in der Entwicklung der Kinder. Es liegt in der Hand der Bezugspersonen, wie damit umgegangen wird. Druck und ständige Beobachtung während der Mahlzeiten können zu Stress führen und das Problem verschlimmern. Unsere Aufgabe ist es, für eine entspannte Atmosphäre am Tisch zu sorgen und eine positive Einstellung zum Essen vorzuleben. Wir bieten den Kindern eine ausgewogene Auswahl an Nahrungsmitteln an und lassen sie selbst entscheiden, wieviel sie wovon essen. Selbst zu schöpfen hilft den Kindern dabei, ihren Appetit einschätzen zu lernen. Durch die Steuerung von aussen verlernen die Kinder mit der Zeit, auf ihren Körper zu hören. Ohne Druck und falsche Belohnungen finden die meisten Picky Eaters von selbst irgendwann zu einem genussvollen Essen.

Rezept «Frosch-Burger»

Das brauchts für 4 Personen:

Tätschli
  • Öl zum Braten
  • ca. 400g Rüebli, grob gerieben
  • ca. 350g Lauch, in feinen Streifen
  • 100g feine Vollkorn-Haferflocken
  • 2 Eier, verklopft
  • 1 TL Salz
  • 2 Scheiben Raclettekäse, halbiert
Burger
  • 4 Burger-Brötli, aufgeschnitten
  • einige Eisbergsalatblätter
  • 1 rohe Rande, in feinen Streifen
  • 4 EL BBQ-Sauce
  • 1 Essiggurke, in vier Scheiben
  • 8 grüne Oliven mit Peperonipaste
  • 8 Zahnstocher

Und so wird’s gemacht:

Tätschli:
Wenig Öl in einer Bratpfanne heiss werden lassen. Rüebli und Lauch ca. 2 Min. dämpfen, etwas abkühlen. Gemüse und Haferflocken in einer Schüssel mischen. Eier und Salz beigeben, von Hand zu einer kompakten Masse kneten. Masse in 4 Portionen teilen, zu 4 Tätschli formen, etwas flach drücken. Öl in derselben Pfanne heiss werden lassen. Hitze reduzieren, Tätschli bei mittlerer Hitze ca. 4 Min. braten, wenden. Je eine Käsescheibe auf die Tätschli legen, zugedeckt ca. 4 Min. fertig braten, herausnehmen.

Burger:
Brötli auf der Schnittfläche nach unten in derselben Pfanne rösten, herausnehmen. Salatblätter auf die Brötliböden verteilen. Randenstreifen und Sauce mischen, auf dem Salat verteilen. Tätschli und Gurkenscheibe darauflegen. Deckel darauf geben, je 2 Oliven als Augen mit je einem Zahnstocher fixieren.
(Quelle)

 

Referenzen
Anderson, J. (2022). Solve picky eating: 11 expert tips for parents of picky eaters. Kids Eat in Color. https://kidseatincolor.com/picky-eating/
Any Working Mom: Andrea Jansen & Anja Knabenhans. (2022, 15. Juni.). «Viele Ernährungs-Mythen sind Chabis». #malehrlich. https://malehrlich-der-podcast-von-anyworkingmom.podigee.io/47-ronia-schiftan#t=1559
Children’s Hospital of Philadelphia (2019, 31. Oktober). Feeding a Picky Eater: The Do’s and Don’ts. https://www.chop.edu/news/dos-and-donts-feeding-picky-eaters
Czernotta, A. (2020). ARFID: Mehr als nur wählerisch beim Essen. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin, 3, S. 23–24.
Die zehn wichtigsten Erkenntnisse für eine gute Tisch- und Esskultur beim gemeinsamen Essen in Tagesschulen. (o. D.). PEP – Gemeinsam Essen – Prävention von Essstörungen «Pepinfo». https://pepinfo.ch/media/docs/Projekte-PEP/gemeinsam-essen/10ErkenntnisseA3.pdf
Picky Eaters: Tipps für den Umgang mit schlechten Essern. (2023, 27. August). Aktion Kleinkind-Ernährung. https://www.kleinkind-ernaehrung.de/picky-eater-tipps-fuer-maekelige-esser/ Wie entwickelt sich Geschmack? (2023, 27. August). Aktion Kleinkind-Ernährung. https://www.kleinkind-ernaehrung.de/wie-entwickelt-sich-geschmack/

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