Mental Load – Wenn die Denkarbeit zur Belastung wird

Mental Load

Stell dir vor, du gehst nach Feierabend eine Runde Joggen, um deinen Kopf freizukriegen. Kaum bist du die ersten paar Meter gelaufen, schwirren dir gefühlt tausend Gedanken durch den Kopf. Habe ich alles für das Abendessen eingekauft oder fehlt was? Was soll ich morgen zum Zmittag mit ins Büro nehmen? Wird das heutige Essen fürs Aufwärmen reichen oder soll ich doch noch etwas Zusätzliches besorgen? Oh: Und am Wochenende hat noch eine gute Freundin Geburtstag und ich sollte noch ein Geschenk besorgen. Was soll ich ihr schenken? Und schaffe ich es noch rechtzeitig in ein Geschäft, da ich auch noch bei meiner Mutter vorbeischauen wollte (wie geht’s ihr wohl?). Und meinem Nachbarn habe ich versprochen die Katze zu füttern. Habe ich sonst noch etwas das ansteht? Habe ich etwas vergessen?

Dein Kopf rattert. Rattert, obwohl du ihn eigentlich beim Laufen endlich ausschalten wolltest. Kennst du dieses Gefühl? Es nennt sich Mental Load.

Was ist Mental Load?

Unser Gehirn arbeitet ständig. Die ersten Gedanken schiessen uns schon beim Erwachen durch den Kopf und erst wenn wir wieder eingeschlafen sind, scheinen sie eine Pause einzulegen. Wir leisten eine Menge Denkarbeit in unserem Alltag. Genau diese Denkarbeit kann zu einer Belastung führen. In diesem Fall spricht man von Mental Load. Mental Load fühlt sich an, als ob man eine unendlich lange To-Do-Liste im Kopf hat. Ständig denkt man an alles oder hat das Gefühl, an alles denken zu müssen. Diese To-Do-Liste ist lediglich ein Merkmal von Mental Load, denn wenn es nur eine Liste wäre, hätte man diese irgendwann abgearbeitet und könnte sich wieder entspannen. Es geht also nicht nur um To-Do’s wie «Wocheneinkauf erledigen», sondern um die gesamte Denkarbeit, welche damit verbunden ist. Zudem kommen weitere Merkmale hinzu wie die Überwachung und Antizipation von Bedürfnissen anderer. Was möchten meine Mitmenschen? Was braucht mein Kind? Ist dies machbar? Ist es die beste Option? Wer springt für mich ein, wenn ich krank bin? Was möchte ich? Was soll ich mir Gutes tun? Wann habe ich Zeit dafür? Des Weiteren müssen wir jeden Tag hunderte von kleinen Entscheidungen treffen, Aufgaben anleiten, delegieren oder Situationen evaluieren. Wie sieht die finanzielle Situation aus? Kann ich dies und jenes noch kaufen oder nicht? Soll am Abend gekocht werden oder nicht? Wer erledigt die Wäsche? Habe ich Zeit, um den Einkauf zu erledigen und um die Wohnung zu putzen? Wer denkt an den vorzubereitenden Kindergeburtstag? Und als ob es noch nicht genug wäre, leisten wir jeden Tag eine Menge an emotionaler Arbeit. Wir regulieren unsere eigenen Gefühle und die anderer. Wenn wir beispielsweise total gestresst und genervt sind, möchten wir diese Emotionen nicht an unserer Partnerin oder unserem Partner auslassen und versuchen die Gefühle zu regulieren. Oder wenn das Kind gereizt ist und Hunger hat, versuchen wir ebenfalls die Gefühle abzufedern und die Situation gut zu meistern – unabhängig davon wie wir uns gerade selbst fühlen. Das kostet uns viel Energie.

Mental Load tritt nicht nur in Familien auf, aber besonders wenn Kinder im Spiel sind, scheint sich Mental Load noch zu verstärken. Man möchte alles immer richtig machen, für alles Zeit haben und auch langfristig an alles denken.

«Mental Load ist Frauensache.» Hast du diesen Satz schon einmal gehört? Was denkst du?

Ist Mental Load bloss Frauensache?

Jein. Obwohl Frauen häufiger von Mental Load berichten, ist es nicht nur Frauensache. Männer können in gleicher Weise davon betroffen sein. Wieso berichten dann trotzdem mehr Frauen davon? Dieser Geschlechterunterschied ist nicht auf das biologische Geschlecht zurückzuführen, sondern auf das sozialisierte Geschlecht. Das bedeutet, dass sich weibliche Personen häufiger für diese unsichtbare Denkarbeit verantwortlich fühlen, weil es ihnen schon im Kindesalter so vorgelebt und beigebracht wird. Das Rollenbild, dass die Frau sich um alles sorgen, an alles denken muss – Care Arbeit leisten soll – ist in unserer Gesellschaft immer noch vorherrschend.

Wieso kann Mental Load negativ sein?

Mental Load ist unsichtbar. Sie läuft innerhalb einer Person ab und führt zu einer Menge unbezahlter und manchmal auch körperlichen Arbeit. Mental Load ist grenzenlos. Sie kann immer und überall stattfinden. Du nimmst sie mit zur Arbeit, in deine Freizeit und selbst beim Einschlafen kann sie dich begleiten. Sie kennt also keine Grenzen. Und zuletzt ist Mental Load auch dauerhaft. Sie ist zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen. Das Kümmern um die Bedürfnisse und Gefühle von geliebten Mitmenschen und auch das Planen, Organisieren, Nachdenken etc., um ein reibungsloses Funktionieren zu gewährleisten, ist ein dauerhafter Prozess. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass Mental Load aufgrund dieser Merkmale mit einem hohen Stressempfinden einhergeht und einige negative Auswirkungen haben kann. Mental Load kann nicht nur die Beziehungen innerhalb der Familie, der Partnerschaft oder mit anderen Mitmenschen negativ beeinflussen, sie wirkt sich auch negativ auf die körperliche und psychische Gesundheit aus.

Was kann ich dagegen tun?

Nachfolgend haben wir dir ein paar Tipps zusammengestellt, die dir und deinem Partner / deiner Partnerin helfen können, besser mit Mental Load umzugehen.

Tipps für Einzelpersonen

  • Gib deinem Chaos im Kopf eine Gestalt, indem du deine Gedanken, To Do’s etc. aufschreibst. Bewerte sie nach Wichtigkeit und Dringlichkeit (siehe Beitrag Balance) und überlege dir, wen sie tatsächlich betreffen. Musst wirklich DU an alles denken und alles erledigen?
  • Introspektion: Wieso hast du das Gefühl an alles denken zu müssen? Warum kannst du vielleicht keine ganzen Aufgaben (samt Denkprozess) delegieren oder abgeben? Was willst DU? Wo kannst du allenfalls etwas ändern?
  • Sprich darüber. Erzähle jemandem von deiner Belastung.
  • Stell dir die Frage: Muss ich das jetzt wirklich tun?
    • Muss: Ist es nötig?
    • Ich: Kann ich es delegieren?
    • Jetzt: Kann ich es auch verschieben?
    • Wirklich: Kann ich es auch sein lassen?


Tipps für Paare / zwei Personen

  • Erstellt gemeinsam eine Liste mit allen Aufgaben. Besprecht, wer für was verantwortlich ist und bis wann die Dinge zu erledigen sind. Gebt dann jeweils den ganzen Prozess und die Verantwortung der zuständigen Person ab. Ein Beispiel: Falls deine Partnerin oder dein Partner für den Einkauf zuständig ist, dann gehört nicht nur der Einkauf als Handlung zur Aufgabe, sondern auch das Darandenken und wissen, was wann wozu eingekauft werden soll. Die Denkarbeit und die tatsächliche Arbeit (Handlung) soll von der gleichen Person erledigt werden.
  • Kommunikation ist äusserst wichtig. Erarbeitet gemeinsam, wer welche Aufgaben bereits übernimmt. Gegenseitige Wertschätzung ist wichtig. Findet zudem heraus, ob das Gegenüber überhaupt weiss, was es eurer Meinung nach ebenfalls wissen und tun sollte. Achtet jeweils darauf in welchem Tonfall ihr miteinander sprecht.
  • Sprecht über eure Gefühle. Wie geht es euch? Was belastet euch? Je höher eure emotionale Stabilität, desto besser könnt ihr auch mit Mental Load umgehen.
  • Teamsitzungen: Plant regelmässig Zeit ein, um miteinander anstehende Aufgaben zu besprechen. Vereinbart zum Beispiel eine wöchentliche Teamsitzung, um Aufgaben zu verteilen und um euch darüber auszutauschen. Was ist gut gelaufen? Was könnt ihr optimieren? Tragt euch gewisse Dinge direkt in eure Agenda ein, damit nichts vergessen geht und ihr euch gegenseitig aufeinander verlassen könnt. Dadurch nehmt ihr euch nicht nur bewusst Zeit füreinander, sondern seht auch, was der andere alles leistet. Vergesst nicht: Ihr seid Teamplayer!
  • Falls ihr eine Familie gründen möchtet, besprecht die Aufgabenteilung und Gleichberechtigung schon im Voraus. So könnt ihr verhindern, dass ihr nach der Geburt des Kindes automatisch in die traditionelle Rollenverteilung hineinrutscht.


Wenn du mehr zum Thema Mental Load erfahren möchtest, empfehlen wir dir den Podcast von Beziehungskosmos mit dem Titel «Mental Load» anzuhören.

 

 

 

Referenzen
AOK Gesundheitsmagazin. (2021, 01. Dezember). Was ist Mental Load und warum sind meist Frauen betroffen? https://www.aok.de/pk/magazin/familie/eltern/mental-load-wie-unsichtbare-aufgaben-frauen-belasten/
Dean, L., Churchill, B., & Ruppanner, L. (2022). The mental load: building a deeper theoretical understanding of how cognitive and emotional labor over load women and mothers. Community, Work & Family, 25(1), 13-29. https://doi.org/10.1080/13668803.2021.2002813
Meyer, S. (2019, 21. August). Paare: Die Frau befiehlt, der Mann führt aus? Schweizer Radio und Fernsehen. https://www.srf.ch/radio-srf-3/aktuell/mental-load-paare-die-frau-befiehlt-der-mann-fuehrt-aus
Knabenhans, A. (Moderatorin). (2022, 29. März). Mental Load reduzieren? Delegieren reicht nicht! [Audio-Podcast]. In Mal ehrlich. Any Working Mom. https://www.anyworkingmom.com/podcast/mental-load-reduzieren/

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