Nähe - (k)eine Frage der Entfernung
Egal ob zusammenlebend oder alleine: Beides kann durch die Corona-Krise negativ verstärkt werden und der Leidensdruck verstärkt sich in uns.
Die Nähe der anderen in der Wohnung kann unangenehm werden. Die Möglichkeit, Freunde oder Familienmitglieder zu treffen, ist begrenzt. Wie können wir trotz dem Ausnahmezustand, die Beziehung zu anderen und uns selber pflegen?
Diese Frage beantwortet unser Kollege David Siegenthaler, dipl. psychologischer Berater und zert. Paarberater in diesem Beitrag. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an David für seien Gastbeitrag.
Bei zu viel Nähe...
Es hilft, wenn Sie den Alltag klar strukturieren. Planen Sie ein, wann Sie aufstehen, gemeinsam essen und arbeiten. Aber auch die Freizeit will Orientierung. Definieren Sie klare Zeiten, in denen Sie Räume nur für sich in Anspruch nehmen und Zeiten wo jemand das Haus verlässt für ein/zwei Stunden (z.B. einen Spaziergang macht). Die zusätzliche Zeit kann aber auch als Geschenk für mehr Paarzeit gesehen werden.
- Verabreden Sie sich zu einem Date. Geben Sie dem Date Bedeutung indem Sie den Abend zu etwas Speziellem machen. Putzen Sie sich besonders schön raus, besonders gepflegt mit ansprechenden Kleidern. Gestalten Sie den Raum schön und atmosphärisch mit Dekoration, Musik, Licht und Kerzen. Aber auch die Handlung kann den Abend interessanter machen. Sei es, dass es zwei Dates sind, wo jeder einmal der zu Verwöhnende ist. Sei dies mit einem tollen Essen, einer Massage, einem Kuschel-Date oder einer interessanten Nacht im Bett. Alles ist erlaubt, was Sie verbindet und ihnen beiden guttut.
- Kreativ werden und neue Dinge probieren. Überlegen Sie sich was Sie in der zusätzlich gewonnen Zeit mit ihrem Partner, ihrer Partnerin erleben möchten. Dies kann z.B. Spiele spielen, kochen, einen alten Lieblingsfilm schauen, Musik machen, ein Zimmer dekorieren oder eine Geschichte schreiben sein.
- Neue Dinge probieren & lernen. Regelmässiges Training des Körpers und neuer Lerninhalt für das Gehirn hält uns flexibel und wirkt präventiv gegen Krankheiten. Machen Sie einen online Kurs (z.B. auch via YouTube) in einer Sportart die Sie zuhause ausüben können, eigenen Sie sich neue Fähigkeiten an (Kochen, Malen, Tanzen, eine neue Sprache, ein Fach in das Sie sich vertiefen wollen, z.B. mit dem Internet oder einem Buch, Jonglieren etc.).
- Alte Projekte angehen. Jetzt ist die Zeit gekommen wo Sie Zeit haben. Gab es schon immer Projekte, welche Sie angehen wollten und nicht konnten? Jetzt wäre die Zeit, wo Sie sich damit beschäftigen könnten.
- Der Austausch als Paar. Manchmal kommt das Teilen der eigenen inneren Welten mit dem Gegenüber zu kurz; die emotionale Verbindung in der Beziehung fühlt sich schlecht und distanziert an, obwohl man viel Zeit miteinander hat. Um dem entgegen zu wirken, empfiehlt sich das Zwiegespräch. Setzten Sie sich 10 Minuten zusammen. Jeder erzählt 5 Minuten über sich. Erzählen Sie, was Sie beschäftigt, Ihnen Sorgen macht und was für Gefühle und Gedanken grundsätzlich da sind. Das Gegenüber hört dabei nur zu. Es darf nichts dazu gesagt werden und auch keine Mimik oder Gestik verwendet werden um das Gesagte zu kommentieren. Dies erleichtert oftmals auch der erzählenden Person über sich zu sprechen und gibt das Gefühl, dass das Gegenüber wirklich zuhört. Sprechen Sie auch nach den 10 Minuten nicht mehr darüber und wiederholen Sie die Übung täglich. Am besten ist, wenn Sie immer die gleiche Zeit dafür nutzen (z.B. nach dem Abendessen oder vor dem zu Bett gehen).
- Streit im Masse. Auch häufiges und andauerndes Streiten kann zum Problem werden. Achten Sie darauf, dass Sie starke Streitereien nicht vor Kindern austragen. Zudem empfiehlt es sich Streitzeiten einzurichten. Streiten Sie je 30 Minuten an zwei Tagen die Woche. Am besten nutzen Sie den Timer dazu. Es ist wichtig nach einem Streit eine Pause einzulegen um das Gesagte und Gehörte zu verdauen. Ebenso empfiehlt es sich, impulsives Verhalten zu unterdrücken und diese Themen in die Streitzeit zu legen.
Bei zu viel Einsamkeit...
Die Einsamkeit kann auch viel Leid und Schmerz auslösen. Auch wenn Sie alleine leben ist es wichtig, dass Sie den Alltag strukturieren und eine Routine finden, um nicht in eine Antriebslosigkeit zu driften. Jedoch hat die Einsamkeit auch Vorteile.
- Endlich Zeit für sich. Ohne ständig Leute um sich herum, können Sie sich ungestört sich selbst widmen. Menschen die mit der Einsamkeit Probleme haben, setzen ihren Fokus oft viel mehr auf andere als auf sich selbst. Nun haben Sie die Möglichkeit sich selber besser kennenzulernen. Vielleicht stellen Sie dabei fest, dass Sie doch nicht komplett alleine sind, mit sich selbst. Dafür eignen sich besonders Achtsamkeitsübungen, mit denen Sie trainieren, sich selbst besser wahrzunehmen. Eine der bekanntesten und erfolgreichsten ist die Atemübung, bei der Sie sich komplett auf das heben und Senken ihres Bauches konzentrieren. Machen Sie Ihren Kopf möglichst frei von Gedanken und konzentrieren Sie sich nur auf die Atmung. Sie werden feststellen, dass dies schwieriger ist als gedacht. Häufig erscheint die erste Gedankenwolke schon nach einigen Sekunden am Himmel. Seien Sie nicht wütend darüber, sondern beachten Sie den Gedanken, der sie anscheinend gerade beschäftigt. Nachdem Sie ihn beachtet haben, lassen Sie ihn los und konzentrieren Sie sich wieder auf die Atmung. Stellen Sie den Timer auf 15 Minuten und wiederholen Sie die Übung regelmässig. Sie werden feststellen, dass Sie mit der Zeit besser werden damit, den Fokus auf die Atmung zu setzten, dass Sie Ihre Gedanken besser kennenlernen und dass Sie immer gelassener werden durch die Übung.
- Negative Gefühle akzeptieren. Oftmals kämpfen wir gegen negative Gefühle an. Verständlicherweise! Wer will sich denn schon ängstlich, traurig oder alleine (im negativen Sinne) fühlen? Doch unser Gehirn versteht «Nein» nicht. Wenn ich Ihnen sage: Bitte stellen Sie sich keinen pinken Elefanten mit blauen Tupfen vor. So tendiert Ihr Gehirn dazu sich diesen vorzustellen, obwohl ich Sie explizit darum gebeten habe dies nicht zu tun. Dasselbe passiert mit dem Kampf gegen negative Gefühle. Statt gegen diese anzukämpfen empfehle ich Ihnen, sie zu akzeptieren. Beachten Sie die negativen Gefühle wie eine schwarze Wolke am Himmel. Sie kommt und sie geht und sie darf aber auch da sein. Es ist normal sich im Leben schlecht zu fühlen. Wir können uns nicht immer gut fühlen. Genauso kann unser Körper meistens auch ein negatives Gefühl nicht ewig gleich stark aufrechterhalten. Wenn wir das negative Gefühl also akzeptieren, mit dem Wissen, das es irgendwann wieder von alleine geht, haben negative Gefühle weniger Macht über unser Wohlbefinden.
- Einen freundlichen Umgang mit sich selbst entwickeln. Manchmal fallen wir gerade mit uns selber härter ins Gericht als mit anderen. Gerade dann ist es sinnvoll, einen freundlichen und liebevollen Umgang zu finden. Glaubenssätze über sich selbst wie: «Ich bin nichts.» - «Ich bin schlecht» oder «Mich hat niemand lieb» sind dann besonders stark. Um diesen entgegen zu wirken, kann es helfen einen neuen Glaubenssatz über sich selber zu entwickeln. Dieser kann zum Beispiel sein: «Ich bin gut wie ich bin» oder «Ich bin liebenswert». Wenn Sie einen besseren Satz für sich gefunden haben, schreiben Sie ihn auf, sagen Sie ihn laut für sich und stellen Sie sich ein Bild zum Satz vor, welches Ihnen Kraft gibt. Auch hier macht Übung den Meister oder die Meisterin. ein regelmässiges Wiederholen des Satzes hilft, dass sich die neue Botschaft vertieft.
- Die eigenen Bedürfnisse besser kennenlernen. Es kann am Anfang schwierig sein, sich nur auf die eigenen Bedürfnisse zu fokussieren. Doch es ist auch spannend herauszufinden, was Sie für sich tun wollen, wenn Sie nur für sich sind. Bedürfnisse können sein: Spass, Sicherheit, Entspannung, Genuss, Bewegung, Abwechslung, Selbstverwirklichung (etwas lernen oder erschaffen), Inspiration und mehr. Vielleicht gibt es in einem dieser Bereiche ein Interesse, welches Sie anspricht und welchem Sie nachgehen wollen?
- Regelmässige Webcam Unterhaltungen. Machen Sie mit Bekannten, Freunden und Arbeitskollegen regelmässige Webcam-Treffen, um weiterhin das eigene Bedürfnis nach Nähe und Austausch zu pflegen. Dabei darf es ernste Gespräch geben über Ängste und Sorgen, aber auch humorvolle, witzige und unbelastete. Oder sie treffen sich virtuell zu einem «gemeinsamen» Essen.