Vorurteile
… «Männer sind schlechte Zuhörer», «Frauen können nicht einparken», «Jungs spielen Fussball», «Mädchen sind schlecht in Mathe», «Ältere Personen sind schlecht im Umgang mit Technik», «Italiener essen Pasta» …
Die Liste lässt sich beliebig erweitern. Bestimmt kannst auch du noch einige hinzufügen? Welche Vorurteile sind dir bekannt und/oder hast du selbst? Du glaubst frei von Vorurteilen zu sein? So ganz wird das nicht stimmen. Denn wir alle haben Vorurteile. Weshalb das so ist und wie Vorurteile unser Verhalten und andere Menschen beeinflussen, möchten wir dir anhand dieses Beitrags näherbringen.
Was sind Vorurteile überhaupt? Und wozu dienen sie?
Wie es der Name bereits verrät, sind Vorurteile Urteile, die bereits in unserem Kopf vorhanden sind und somit schnell zur Verfügung stehen. Wir treffen Urteile (meist) über Personen bevor wir sie wirklich kennen. Dieses Urteil basiert bei Vorurteilen auf der Gruppenzugehörigkeit dieser Person, wobei die Zugehörigkeit an wenigen Merkmalen festgemacht wird (z.B. Alter, Hautfarbe, etc.). Vorurteile müssen nicht zwingend negativ sein, häufig ist dies aber der Fall. Ein Vorurteil besteht aus drei Komponenten. Die Basis bildet die kognitive Komponente – die sogenannten Stereotypen. Die Sozialpsychologie versteht unter dem Begriff Stereotyp eine kognitive Struktur, die unsere Erwartungen, Überzeugungen und unser Wissen über eine Gruppe von Menschen enthält. Die Mitglieder einer Gruppe definieren sich über bestimmte gemeinsame Merkmale (z.B. Geschlecht, äusserliches Erscheinungsbild). Stereotypen sind kulturell geprägt und wir bilden sie schon sehr früh in unserem Leben aus, indem wir sie von unserem Umfeld erlernen (Familie, Freunde, usw.). Stereotype sind nicht immer negativ gefärbt, sie können durchaus auch positiv sein. Siehst du zum Beispiel eine ältere Person, ordnest du sie automatisch in die Kategorie «alt» ein. Automatisch wird dein Altersstereotyp aktiviert und du bildest dir ein Urteil über die Person ohne, dass du sie genauer kennst. Solche stereotypische Überzeugungen zum Alter können sein: «Alte Personen sind langsam», «Alte Personen verstehen nichts von Technik», «Alte Personen sind weise», usw. Wieso haben wir solche Kategorien, solche Schubladen in unserem Kopf? Stereotypen bilden wir, um die Unmengen an Informationen unserer Umwelt zu ordnen und zu verarbeiten. Wir kategorisieren nicht nur Personen sondern auch Institutionen, Ereignisse, andere Lebewesen und Gegenstände. Stereotypen sind zudem wichtig, weil sie die Voraussetzung darstellen, dass wir uns nicht nur als Individuen wahrnehmen, sondern auch als Mitglieder bestimmter sozialer Gruppen. Stereotypen stellen somit ein Teil der sozialen Identität dar und spielen eine wichtige Rolle.
Affektive Bewertungen bilden die zweite Komponente. Ein Stereotyp reicht noch nicht aus, um als Vorurteil gezählt zu werden. Erst wenn ein Stereotyp mit einer affektiven Bewertung (positive oder negative Empfindung) verknüpft wird, entsteht ein Vorurteil. Als dritte Komponente wird die Verhaltenskomponente (Diskriminierung) genannt. Dabei handelt es sich um Vorurteile, welche durch ungerechtfertigt negatives oder schädliches Verhalten gegenüber anderen Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit ausgedrückt werden. Beispielsweise, wenn Frauen bei einem Bewerbungsprozess aufgrund ihres Geschlechts nicht berücksichtigt werden.
Das Vorhandensein von Stereotypen bedeutet nicht, dass es automatisch zu einer Wertung kommt (Vorurteil) oder in eine Verhaltensweise (Diskriminierung) umgesetzt wird. Jedoch können sowohl Stereotype als auch Vorurteile unser Verhalten beeinflussen.
Stereotypen und Vorurteile entstehen bereits im Kindesalter. Kinder ordnen beispielsweise bestimmte Spielzeuge nach Geschlecht. Autos sind für Knaben und Mädchen spielen mit Puppen. Wir lernen früh aus unserer Umgebung, welche Merkmale bestimmte Gruppen und ihre Mitglieder ausmachen und beginnen, Personen anhand dieser Merkmale zu kategorisieren.
Welche Vor- und Nachteile bringen Vorurteile mit sich?
Wie bereits erwähnt, helfen uns Stereotype, die riesige Informationsflut aus unserem Lebensumfeld zu verarbeiten. Ohne sie hätten wir keine Chance zurechtzukommen. Wir können nicht für jeden und alles offen sein und müssen Zuordnungen zu bestehenden Kategorien machen, da uns die Kapazität schlichtweg fehlt. Die Informationen aus dem Umfeld lassen sich auf diese Weise einfacher und schneller verarbeiten. So können wir bei Bedarf auch schnell handeln. Sie sind also durchaus sinnvoll und unabdingbar.
Da Vorurteile meist aus Einzelbeobachtungen entstehen und dann auf das Gesamte (auf die ganze Gruppe) übertragen wird, entsteht ein verzerrtes Bild. Logischerweise treffen die meisten Vorurteile nicht auf alle Personen in dieser Gruppe zu. Es kann durchaus sein, dass eine Frau nicht gut einparken kann. Doch dies trifft niemals auf alle Frauen zu – trotzdem hält sich dieses Vorurteil ziemlich hartnäckig. Vorurteile können zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung führen und verheerende Konsequenzen haben. Kennst du das Gefühl, Vorurteilen ausgesetzt zu sein? Wie fühlt es sich an? Falls nein, wie würdest du dich fühlen, wenn Menschen über dich urteilen, ohne dich wirklich zu kennen? Fühlt sich nicht gut an, oder? Und genau das passiert. Betroffene Personen fühlen sich unwohl, nicht ernstgenommen, falsch verstanden, sie fühlen sich ausgegrenzt und feindselig behandelt. Negative Vorurteile können unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden negativ beeinflussen. Studien konnten zeigen, dass sie negative Einflüsse auf das soziale Netzwerk, die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl haben und depressive Symptome verstärken können. Sie stellen einen enormen Stressfaktor für betroffene Personen dar und wie du weisst, hat Stress eine Vielzahl von Auswirkungen auf unsere Psyche und unseren Körper.
Wie beeinflussen Vorurteile unser Verhalten?
Stereotype und Vorurteile beeinflussen unser Verhalten wesentlich. Vieles passiert unterbewusst und folglich merken wir häufig gar nicht, dass sie Einfluss auf uns ausüben. Stereotypen können durch viele verschiedene Reize aus der Umwelt automatisch aktiviert werden. Ist einer aktiviert, beeinflusst er auf unbewusster Ebene unsere Wahrnehmung, Erinnerung und Urteile. Ob sich ein Stereotyp in ein Vorurteil wandelt und sogar in einer Diskriminierung endet, haben wir selbst in der Hand. Dafür ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen und die Motivation aufzubringen sich mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen.
Die Sendung Einstein vom Schweizer Radio und Fernsehen hat die Macht der Vorurteile in einem Experiment genauer betrachtet und festgestellt, wie schnell Menschen sich darauf einlassen und welche Auswirkungen sie auf beide Gruppen hat. Das Experiment zeigt somit die beiden Seiten der Vorurteile sehr schön auf. Hier kannst du dir das Experiment ansehen. Es lohnt sich – viel Spass beim Schauen!
Was können wir dagegen tun?
«Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.»
- Albert Einstein -
Wieso sind Vorurteile so hartnäckig? Bei der Beantwortung dieser Frage ist unter anderem die affektive Komponente sehr entscheidend. Logische Argumente und Wissen können dagegen kaum ankommen. Deshalb nützt es nicht viel, wenn man Personen reines Wissen zu unterschiedlichen sozialen Gruppen vermittelt. Zudem gibt es einige psychologische Mechanismen, die dazu beitragen, dass sich Vorurteile hartnäckig halten können und sich scheinbar immer wieder als richtig erweisen. Wir neigen beispielsweise dazu, Zusammenhänge zu sehen, wo eigentlich gar keine sind. Ebenfalls bevorzugen wir Informationen, die unsere Annahmen bestätigen (Confirmation Bias). Wir haben also die Tendenz, bestätigende Informationen zu suchen und wahrzunehmen. Für Fremdgruppenmitglieder, die nicht unserem Stereotypen dieser Gruppe entsprechen, bilden wir einfach eine neue Kategorie (eine Art Subgruppe), wodurch der ursprüngliche Stereotyp weiterhin bestehen bleibt. In solchen Situationen sagen wir uns einfach: «Die Person ist halt eine Ausnahme». Der ultimative Attributionsfehler trägt ebenfalls dazu bei, dass sich unsere Vorurteile scheinbar immer wieder bestätigen. Dabei schreiben wir positives Verhalten der eigenen Gruppe dem Charakter zu und negatives Verhalten ungünstigen äusserlichen Umständen. Bei der Fremdgruppe geschieht es genau umgekehrt: Verhält sich die Fremdgruppe negativ, wird es ihrem Charakter zugeschrieben und stimmt das Verhalten mit unserem Vorurteil überein, meinen wir bestätigt zu werden.
Was kann getan werden, wenn das Wissen allein nicht weiterhilft? Zahlreiche Studien und Experimente haben gezeigt, dass der Kontakt mit der Fremdgruppe unter bestimmten Bedingungen zur Reduktion beitragen kann. Die Bedingungen sind die Statusgleichheit (kein Hierarchiegefälle zwischen den Parteien), Kooperation und gemeinsame Ziele und Unterstützung von Autoritäten/Institutionen (z.B. gesetzliche Vorschriften oder die Chefin). Dies wäre der optimale Rahmen, um Vorurteile zu reduzieren. Allerdings ist es nicht immer möglich, all diese Bedingungen zu erfüllen. Erfreulicherweise hat sich gezeigt, dass der Kontakt auch ohne diese Bedingungen wirkt. Bereits das vermehrte, wiederholte treffen der Fremdgruppe führt zu einer erhöhten Vertrautheit, was wiederum die Sympathie ihnen gegenüber steigert (Mere-Exposure-Effekt). Es gibt sogar Hinweise darauf, dass schon vorgestellter Kontakt reicht, Vorurteile zu mindern.
Tipps
- Jede und jeder hat Vorurteile. Streite dies also nicht ab und werde dir deiner Vorurteile bewusst.
- Hinterfrage deine Stereotypen / Vorurteile dein ganzes Leben lang. Passe sie der Realität an. Merke dir, dass sie häufig unterbewusst nicht nur unser Denken sondern auch unser Handeln beeinflussen.
- Hast du genügend Informationen über eine Person, wenn du ein Urteil fällst? Nimm dir wann immer möglich die Zeit, die Person besser kennen zu lernen.
- Sei offen. Bilde dir deine eigene Meinung, verschaffe dir selbst einen Eindruck. Übernimm nicht einfach Urteile von anderen und gib jedem eine Chance.
- Da wir alle Vorurteile haben, liegt es auch in unserer Verantwortung, wie wir damit umgehen. Nur weil wir gewisse Stereotypen haben, heisst das nicht, dass wir sie auch anwenden (in Vorurteile verwandeln) oder in Verhaltensweisen (Diskriminierung) umsetzen müssen. Sei dir deiner Verantwortung bewusst.
- Möchtest du gewisse Vorurteile abbauen, hilft es mit der betroffenen Personengruppe / einzelnen Mitglieder davon in Kontakt zu treten. Sprich eine Person an und lerne sie genauer kennen. Geh offen auf fremde Personen zu.
- Wenn du Zeuge wirst, wie jemand Vorurteilen ausgesetzt ist, setze dich für diese Person ein. Es braucht ganz schön viel Mut, aufzustehen und der Meinung deiner eigenen «Gruppe» zu widersprechen – aber es lohnt sich!
Referenzen
Einstein SRF. (2017, 19. Januar). «Einstein» und die Macht der Vorurteile [Video]. Play SRF. https://www.srf.ch/play/tv/einstein/video/einstein-und-die-macht-der-vorurteile?urn=urn:srf:video:e5481228-ba5c-4f72-93e7-96d39c432466
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