Journaling
Buchstabe um Buchstaben seine Gedanken ordnen. Erlebtes und sich selber reflektieren. Perspektiven wechseln, Neues erkennen und persönliches Wachstum schaffen. Einen Punkt setzen – abschliessen – weitergehen. Kurzum: Journaling.
«Mit dem Schreiben löst sich alles, mein Kummer schwindet, der Mut lebt wieder auf.»
(Anne Frank)
Wenn du früher den leeren Seiten deines Tagebuches deine Geheimnisse, Sorgen und tiefsten Empfindungen anvertraut und über deine täglichen Erlebnisse berichtet hast, dann fragst du dich nun sicher:
«Worin liegen die Unterschiede zwischen Tagebuchschreiben und Journaling?»
Sie sind klein, aber bedeutend.
Während beim Tagebuchschreiben die Einträge für gewöhnlich täglich gemacht werden und auf die äusseren Erlebnisse und Erfahrungen fokussieren, finden die Aufzeichnungen beim Journaling nicht unbedingt täglich statt. Der Fokus des Schreibens liegt beim Journaling auf dem inneren Erleben, der Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen Gefühlen und Gedanken. Durch den Blick nach «Innen» entstehen persönliches Wachstum und ehrliche Reflexion. Folglich ist Persönlichkeitsentwicklung ein wichtiges Element.
Indem wir unsere Gedanken und Gefühle in Worte fassen und niederschreiben, können wir sie abladen und einen klaren Kopf gewinnen. Wichtiger als «Sich etwas von der Seele schreiben» sind beim Journaling die neuen Erkenntnisse und Perspektiven, die wir dadurch gewinnen, die uns verändern und anders weitergehen lassen.
«Wenn du deine Sicht auf die Dinge veränderst, verändern sich die Dinge, die du siehst.»
(Dr. Wayne Dyer)
Journaling-Methoden
Die Methoden des Journaling sind vielfältig und du brauchst womöglich etwas Zeit und Geduld, bis du die passende Methode für dich findest. Setze dich dabei nicht unter Druck. Journaling machst du nur für dich selbst. Das Geschriebene wird weder bewertet, noch ist es für die Öffentlichkeit bestimmt. Es dient einzig dir und deiner persönlichen Entwicklung. Du musst nicht auf Stil, Form, Grammatik oder Rechtschreibung achten, sondern den Worten beim Schreiben freien Fluss gewähren und dein Unterbewusstsein den Stift führen lassen.
Egal für welche Variante du dich entscheidest, schreibe immer von Hand. Dies hat nichts mit der Nostalgie, die Papier und Stift bei vielen hervorrufen, zu tun, sondern mit unserem Gehirn. Handschriftliches Festhalten von Gedanken und Gefühlen fördert das Verständnis. Beim Schreiben von Hand kommt es zu einem Zusammenspiel beider Gehirnhälften und so zu einer Wechselwirkung zwischen motorischen und kognitiven Vorgängen. Durch die Handbewegungen ist die linke analytische Gehirnhälfte aktiviert, der rationale Teil von uns ist mit der Motorik beschäftigt. Dies geschieht, während unsere intuitive, kreative Seite – die rechte Gehirnhälfte – freie Bahn hat. Die Gedanken, Gefühle und Worte fliessen dadurch leichter von der Hand. Aus der Neurowissenschaft ist zudem bekannt, dass wir beim Schreiben mit der Hand viel mehr darüber nachdenken, was wir aufschreiben und was nicht, also stärker selektieren als etwa beim Tippen auf der Tastatur. Dies hat zur Folge, dass wir uns beim Schreiben mit der Hand automatisch auf das Wesentliche konzentrieren und fokussierter sind.
Das Resultat aus der Kombination von Fühlen, Denken und Schreiben sind oftmals neue Erkenntnisse, Perspektiven und Ideen.
Journaling klingt nicht nur nach Arbeit, es ist es manchmal auch. Sich mit sich selber auseinanderzusetzen – seinen Gefühlen, seinem Verhalten, seinen Gedanken und sich selbst kritische Fragen zu stellen, kann schon mal ungemütlich werden. Warum du es dennoch mit Journaling versuchen solltest?
Nach heutigem Stand der Forschung beeinflussen Journaling und intensives Schreiben unsere psychische Gesundheit nachweislich positiv. Die positiven Effekte sind vielfältig. Journaling wirkt sich nachweislich positiv auf die Stimmungs- und Gefühlslage aus und verbessert das allgemeine Wohlbefinden. Es ist eine wirksame Methode im Bereich des Stressmanagements sowie in der Therapie von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).
Das Journaling ist, wie zu Beginn bereits erwähnt, vielfältig und die Methoden sehr unterschiedlich. Damit du dich in dieser Vielfalt nicht verlierst, solltest du dir vorgängig klar werden, was du mit dem Journaling erreichen möchtest. Möchtest du dich besser kennenlernen, es als Stressbewältigungstechnik nutzen, deiner psychischen Gesundheit Gutes tun oder ein spezifisches Ziel erreichen? Wenn du weisst, wofür du das Journaling nutzen möchtest, wirst du sicher eine passende Methode finden. Wir stellen dir hier fünf verschiedene Methoden vor.
Stream of Consciousness
Die Methode «Stream of Consciousness» (deutsch: Gedanken-, Bewusstseinsfluss) ist vermutlich die freieste Form des Schreibens. Es gibt keinerlei Vorgaben, du schreibst einfach drauflos. Dabei kannst du dir entweder ein Zeitlimit von fünf bis 15 Minuten setzten oder dir vornehmen, drei DIN-A4-Seiten voll zu schreiben. Lass deinen Gedanken freien Lauf und bringe auf Papier, was gerade in deinem Kopf umherschwirrt.
Wie der Name «Stream of Consciousness» schon sagt, geht es darum, dem eigenen Gedankenfluss oder Bewusstseinsstrom Raum zu geben und all das auf Papier zu bringen, was in dem Moment präsent ist. Gedanken, Gefühle und Ideen sollen dabei weder bewertet noch analysiert werden. Auch Ängste, Zweifel, Sorgen und negative Gefühle dürfen dabei an die Oberfläche gelangen. Was immer dich gerade beschäftigt, kriegt Raum.
Kennst du Momente in denen dir alles über den Kopf wächst und du vor lauter Bäume den Wald nicht mehr siehst? Gerade dann ist diese Methode sehr gut geeignet. Denn selbst wenn durch das Schreiben keine Lösungen oder Eingebungen hervorgerufen werden, Dinge auf Papier niederzuschreiben ist unglaublich befreiend. Gut möglich, dass du durchs Schreiben ein bisschen Ordnung in deine Gedanken bringen kannst und dich dadurch bereits etwas wohler fühlst.
Weiter ist wichtig zu wissen, dass, egal was du auf diesen drei DIN-A4-Seiten oder innerhalb der von dir gewählten Zeit produzierst, weder du noch jemand anderes dies jemals lesen muss. Es geht lediglich darum, deinem Gedankenfluss Raum zu geben und dabei ganz im Hier und Jetzt zu sein.
Regelmässiges Schreiben ist eine effektive Methode, die dir hilft, dich selbst besser zu verstehen. Das Journaling ermöglicht es dir, wiederkehrende Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster zu erkennen und zu hinterfragen, wodurch du mehr Klarheit über deine Wünsche und Bedürfnisse erhältst.
6-Minuten-Journal
Die Bezeichnung «6-Minuten-Tagebuch» steht stellvertretend für alle Formen des Journaling, bei denen du dir täglich immer dieselben Fragen stellst. Das kann jeden Abend sein, um den Tag dankbar und entspannt zu beenden oder jeden Morgen, um positiv in den Tag zu starten. Im Handel gibt es verschiedene Bücher mit vorgefertigten Fragen, die du dir kaufen kannst. Es lohnt sich aber durchaus, ein eigenes Buch mit persönlichen Fragen anzufertigen. Du nimmst dir dafür einfach ein schönes Notizbuch, entscheidest dich für zwei bis sechs Fragen und schreibst diese auf die erste Buchseite.
Einige Ideen für tägliche Fragen sind …
- Wofür bin/war ich heute dankbar?
- Was würde heute zu einem guten Tag machen?
- Meine wichtigste Aufgabe heute ist …
- Worauf kann ich heute stolz sein?
- Was hat mir heute Freude bereitet?
- Was hat mir heute gutgetan?
Am Anfang machst du dir am besten eine Erinnerungsnotiz, damit du im Alltag nicht vergisst, dir jeden Tag einige Minuten Zeit zum Schreiben zu nehmen. Sobald du diese Gewohnheit etabliert hast, wird es dir leichter fallen und das Schreiben wird ein fester Bestandteil deines Tages.
Starte klein mit wenigen Fragen und überfordere dich nicht. Tausche die Fragen aus, wenn es dir langweilig wird oder du deinen Fokus neu legen möchtest.
Journaling mit Prompts
Bist du beim Blick auf die leeren Seiten deines Notizbuches eher gehemmt und schaffst es fast nicht los zuschreiben? Ist die Schreibhemmung präsenter als der eigentlich gewünschte Schreibfluss? Dann ist das freie Schreiben nach der Methode «Stream of Consciousness» wohl eher nichts für dich und du solltest es besser mit dem «Journaling mit Prompts» versuchen. Die sogenannten «Prompts» sind Aufforderungen oder Anregungen die helfen, die Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken und zum Nachdenken anzuregen. Diese Prompts bestehen meist aus Fragen oder Satzanfängen und fungieren als Einladung, um sich der eigenen Perspektiven, Überzeugungen und Haltungen bewusst zu werden.
Ziel ist es, eine Frage oder einen Satzanfang zu lesen, den Gedanken freien Lauf zu lassen und alles, was einem gerade in den Sinn kommt, auf Papier zu bringen. Es gibt keine Bewertung, kein Richtig oder Falsch.
Auch bei dieser Methode empfiehlt es sich, zu Beginn eine bestimmte Zeitspanne festzulegen. Sie eignet sich in vielen Lebensbereichen und für verschiedenste Themen. Suchst du beispielsweise nach einer neuen beruflichen Perspektive, hast aber noch kein klares Ziel vor Augen? Oder beschäftigen dich Sorgen, Erwartungen oder Ängste, denen du dich stellen möchtest? Suche dir eine passende Aufforderung oder Anregung in Form eines Satzanfanges oder einer Frage und schreibe deine spontanen Gedanken und Gefühle dazu auf.
Zur Inspiration haben wir dir hier ein paar Beispiele für Prompts zusammengestellt:
- Was bereitet mir Freude?
- Was inspiriert mich am meisten?
- Wann erlebe ich Momente von Glück?
- Welche Dinge möchte ich loslassen?
- Ich werde nachdenklich, wenn …
- Eine Sache, die ich heute für mich selbst tun möchte, ist …
- Ich bin dankbar dafür, dass ...
- Wenn mir die Arbeit locker von der Hand geht, …
- Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann …
Periodische Reflektion
Die zeitliche Frequenz der Reflexion kann von wöchentlich, monatlich bis jährlich reichen und ist frei nach den eigenen Bedürfnissen wählbar.
Anders als beim täglichen Journaling hast du bei der periodischen Reflexion einen längeren Zeitraum zu reflektieren und dadurch die Chance, noch mehr Selbsterkenntnis zu gewinnen. Dadurch, dass du bei der Methode der «periodischen Reflexion» die Vergangenheit Revue passieren lässt, hast du die Möglichkeit, wiederkehrende Verhaltensmuster zu erkennen und mehr über dich selber du erfahren. Die Basis deiner Reflexion bildet eine von dir gewählte Frage.
Ein paar Beispiele:
- Was habe ich gelernt?
- Was ist mir besonders gut gelungen / welche Erfolge habe ich erzielt?
- Was waren besonders schöne Momente?
- Worauf möchte ich mich nächste Woche/Monat/Jahr konzentrieren?
- Gibt es etwas aus der Vergangenheit, das ich nun loslassen möchte?
- Gab es Veränderungen und wenn ja, wie haben sie mich beeinflusst?
Wichtig bei dieser Methode des Journaling ist die Regelmässigkeit. Wähle deshalb einen Zeitraum, der für dich persönlich realistisch ist und passe ihn an wenn du merkst, dass du Mühe damit hast.
Erfolgsjournaling
Das Journaling ist nicht nur für die Reflexion von Vergangenem geeignet, sondern auch für das Erreichen von Zielen.
Das Niederschreiben von Ziel und Handlungsplan unterstützt dich dabei, Dinge anzupacken und durchzuziehen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass man Ziele viel eher erreicht wenn man sie schriftlich festhält, als wenn man nur darüber nachdenkt oder spricht. Dies hat wieder mit unserem Gehirn zu tun. Bei der reinen Vorstellung eines Ziels und dessen Erreichung – dem Prozess des Nachdenkens – wird nur die rechte Gehirnhälfte aktiviert. Hält man das Ziel und den Weg dahin jedoch zusätzlich handschriftlich fest, wird durch das Schreiben auch die linke Gehirnhälfte in Anspruch genommen und die Vision wird dadurch manifestiert.
Durch die Nutzung beider Gehirnhälften wird aus dem blossen Gedankenkonstrukt, der Idee, einmal niedergeschrieben, eine Verpflichtung. Damit sendest du deinem Unterbewusstsein das Signal: Ich will XY erreichen und ich meine es ernst.
Zentral beim Erfolgsjournaling ist, dass man nicht nur sein grosses Ziel aufs Papier bringt, sondern auch die Schritte, die zu diesem Ziel führen. Dazu gehört, dass man das grosse Ziel in einzelne Etappenziele einteilt und jeden noch so kleinen Erfolg auf dem Weg dorthin notiert. Du hältst täglich oder wöchentlich fest, was du erreicht hast. Dies wirkt sich positiv auf deine Motivation und dein Selbstbewusstsein aus und macht dich langfristig erfolgreicher.
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